Ausflug Appenzell – Rückblick

Ausflug nach Appenzell vom 2. Juni 2023 – Rückblick

Einmal mehr steht heute ein vielversprechender Ausflug auf dem Programm: «Kulinarisches Appenzell». Was erwartet uns wohl an diesem Nachmittag? Wir, das sind 43 muntere, interessierte Neftenbacherinnen, die sich rechtzeitig auf dem Chiesplatz einfinden. Martin Graf von «Nüssli Reisen» erwartet uns bereits. Nehmen wir das Wetter als gutes Omen, wird es ein toller Ausflug; blauer Himmel, sommerliche Temperaturen, ja wenn Engel reisen….

Um 13.30 kommen wir nach einer angenehmen Fahrt in Appenzell an, das in einer liebevollen, hügeligen Landschaft eingebettete ist. Sieben Frauen möchten Appenzell auf eigene Faust und in ihrem Tempo erkunden. Für die restlichen von uns beginnt die Führung um 14.00 Uhr. Begrüsst werden wir von Anita, im schönsten Appenzeller Dialekt. Zusammen mit Carmen werden sie uns mit Appenzell vertraut machen. Und schon heisst es zuhören:

  • Jahr 1513: Aufnahme als 13. Stamm in die Eidgenossenschaft
  • Jahr 1597: Aufteilung in zwei Halbkanton: Innerrhoden (katholisch), Ausserrhoden (reformiert)
  • mit 172 km2 ist Appenzell Innerrhoden der zweitkleinste Kanton der Schweiz
  • das Wappentier, ein schwarzer Bär, der sich seit der Befreiung Appenzells von der Abtei St. Gallen, stolz und in aufrechter Gangart zeigt
  • je 1/3 Wald, Wiesen und Berge
  • bis weit ins 20. Jahrhundert bildete die Landwirtschaft den wichtigsten Erwerbzweig. Dank der grossen Mithilfe der Frauen auf den Betrieben und der oft zusätzlichen Heimarbeit für die Textilindustrie (Weben, Sticken), entstand der früher oft gehörte Spruch: «Frauen und Sauen erhalten das Land.“
  • heute hängt jede dritte Arbeitsstelle mit dem Tourismus zusammen
  • es gibt ca. 700 km Wanderwege, 24 Berggasthäuser und 4 Bergbahnen
  • die Einwohnerzahl von Innerrhoden beträgt heute gut 16`000. In Appenzell selber wohnen gut 6’000 Personen, womit die Frage ob Appenzell immer noch ein Dorf sei oder nicht, geklärt ist.
  • Mit der vielfältigen Produktion von Käse-, Fleisch-, Bier-, Mineral-, Schnaps-, Biberli- und Fladenspezialitäten etc., sind die Appenzeller gut versorgt.

Während wir diesen Informationen interessiert zuhören, wird uns die erste Appenzeller Spezialität serviert: Ein Stück Appenzeller «Chäsflade» und ein Glas Weisswein.

Nach dieser kleinen Stärkung geht’s in zwei Gruppen weiter. Anita führt uns zum nahe gelegenen Adlerplatz. Roman Signer, ein gebürtiger Appenzeller Bildhauer, Zeichner, Aktionskünstler und Filmer, hat sich hier mit einem Kunstwerk verewigt. Man kann sich vorstellen, dass es von vielen Passanten gar nicht wahrgenommen wird. Es ist eine in Asphalt eingelassene Drehscheibe, die sich in drei Minuten um 360° dreht. Drei Minuten bewusst innehalten, einen kleinen Ausblick auf Appenzell geniessen – das ist in unserer hektischen Zeit sicher keine schlechte Idee. Von dieser Kunst ist es ein Katzensprung zu einer etwas anderen Art von Kunst, nämlich zur römisch-katholischen Pfarrkirche, St. Mauritius. Sie ist dem heiligen Mauritius geweiht, dem Landespatron des Kanton Appenzell Innerrhodens:

  • das erste Bauwerk der Kirche entstand bereits um 1068. Im Laufe der Geschichte wurde die Kirche mehrmals erweitert, umgebaut oder nach dem Grossbrand von 1560 teilweise neu erbaut. Daher ist sie keinem eigentlichen Baustil zuzuordnen.
  • 1905 wurde der wunderschöne Kronleuchter elektrifiziert, als einer der ersten in einer Kirche in der Schweiz.
  • 2018 wurde die Kirche erneut während einem Jahr umfangreich restauriert.
  • seit 1971 steht die Kirche unter eidgenössischem Denkmalschutz.
  • sie bietet Platz für 1`000 Personen

Von der Kirche geht’s zum «Chäs Sutter». Ein schmuckes Ladenlokal, das eine grossartige Vielfalt an Käse und anderen Spezialitäten anbietet. Die Familie Sutter führt bereits seit 15 Jahren ein Käseunternehmen in Brülisau. Seit Januar 2016 haben sie die Sutter Käse AG übernommen. Am 1. Januar haben die Eltern Sutter das Unternehmen den beiden Söhnen übergeben und die Tochter hat die Ladenleitung übernommen. Wie so oft bei erfolgreichen Unternehmen, steckt eine starke Familie und viel Herzblut dahinter. Die verschiedenen Käsesorten werden von den Produzenten gekauft. Während Monaten werden sie dann im eigenen Natur-Käsekeller von Hand gepflegt und gehegt bis sie dem Qualitätsanspruch genügen und zum Verkauf bereit sind. Nun gibt’s für uns Appenzeller Käse in verschieden Reifegraden zu degustieren:

  • Appenzeller Klassik; 3 Monate Reifung, im Geschmack eher mild
  • Appenzeller Surchoix; mittelkräftig, würzig, mindestens 4 Monate im Keller gereift
  • Appenzeller Rezent; kräftig, würzig, Reifung zwischen 7 bis 8 Monaten

Das Rezept des Appenzellerkäses ist wirklich ein gut gehütetes Geheimnis. Es ist sicher in einer Bank hinterlegt. Das Rezept kennen nur zwei Personen. Die eine Person kennt die Kräutermischung, die andere die Rezeptur zum Destillieren. Das Rezept wird in der Familie weitergegeben. Treffen sich die zwei Personen zum Essen, sind sie verpflichtet, verschiedene Speisen auszuwählen.

Ein paar Schritte weiter, stehen wir bereits am „Landsgemeindeplatz“:

  • hier findet einmal jährlich, am letzten Sonntag im April bei jedem Wetter, die «Landsgemeinde» statt – die Urform der Demokratie
  • jeweils ca. 3’000 Stimmberechtigte sind anwesend
  • Beginn: 09.00 Uhr mit dem Festgottesdienst in der Kirche St. Mauritius. Geladen sind die Kantonsregierung, das Kantonsgericht, sowie Gäste aus Bundesrat, höheres Militär etc.
  • traditionelles Mittagessen: besteht aus Chäsemaggarone mit «Appezöller Südwooscht» und zum Dessert «äs Landsgemd Chrempfli»
  • 00: Die Festgesellschaft wird von der Musikgesellschaft und den Rhodsfähndrichen mit ihren farbigen Bannern, im Paradeschritt die Hauptgasse hoch zum Landsgemeindeplatz geführt – dem Hauptort des Geschehens:
  • stimmberechtigt sind nur Frauen und Männer mit Wohnsitz in Appenzell I.Rh
  • seit 1991 sind die Frauen an der Landsgemeinde zugelassen. In diesem geschichtsträchtigen Jahr, wurde die alte Linde auf dem Landsgemeindeplatz krank und musste gefällt werden. Dies wurde von den Gegnern des Frauenstimmrechts als schlechtes Omen gedeutet
  • seit 1991 gilt die Stimmkarte für die Frauen als Stimmausweis
  • für die Männer gilt aber auch das Seitengewehr, ein Degen den ein junger Mann zur Volljährigkeit erhält und auch weitervererbt wird
  • es ist eine Ehrensache und gilt als Wertschätzung, dass man «gsunntiget» an die Landsgemeinde geht, d.h. Frauen, wenn vorhanden in der Tracht, Männer in Schale
  • der regierende Landammann eröffnet die Landsgemeinde und schwört den Eid mit den drei Schwurfingern. Anschliessend schwört das Volk den Eid. Die Abstimmung erfolgt nur mit der Hand. Es wird nur über Sachgeschäfte abgestimmt. Jeder hat das Recht auf den «Stuhl» zu gehen, für eine «Chropflärete». Ein Rückweisungsantrag darf von jedem gestellt werden. Bei Abstimmungszweifel kommt es zu einer Auszählung, was 2013 das letzte Mal nötig war. Dies führt zu einer ca. einstündigen Verzögerung.

Nach diesen vielen interessanten Informationen geht’s zum nächsten kulinarischen Halt und zwar in die Traditions-Metzgerei Wetter, die sich in der Hauptgasse befindet. Was für ein tolles Geschäft. Man sieht auf den ersten Blick, hier wird das Naturprodukt Fleisch mit Qualität, Motivation, Innovation und sicher auch mit viel Leidenschaft verarbeitet. Auch in diesem Geschäft steht eine ganze Familie mit grossem Zusammenhalt dahinter. Von der guten Qualität dürfen wir uns anschliessend selber überzeugen. Gegen den Durst gibt’s noch ein Bier oder ein Flauder zum Probieren.

Nach dieser kleinen aber feinen Stärkung erklärt uns Anita, dass die Hauptgasse bis 1932 farblos war. Hans Dobler, damaliger Eigentümer der Löwendrogerie gab seinem Schwager Johannes Hugentobler, ein bekannter Bauernmaler, den Auftrag, sein Haus neu zu malen. Bis anhin war auch dieses Haus weiss gestrichen. Als es neu die Grundfarbe rot erhielt dachten sich die Leute, die Familie Dobler sei verrückt. Der talentierte Maler hatte die gute Idee, passend zu einer Drogerie, das Haus zusätzlich mit Heilkräutern zu verzieren. Zudem brachte er in der Mitte des Hauses den treffenden Spruch an «Vielerei Kraut gegen Leibesnot, aber kein einziges wider den Tod». Das Ergebnis der Renovation begeisterte die Leute so sehr, dass weitere Hausbesitzer dem Beispiel folgten und ihren Häusern ebenfalls einen farbigen Anstrich verliehen. Dies führte zu einer eindeutigen Aufwertung der Hauptgasse und zu einer weiteren touristischen Attraktion. Natürlich besichtigen wir jetzt auch diese schöne Drogerie, wo der alte Ladenteil bei der Renovation erhalten blieb. Sie befindet sich immer noch im Besitz der gleichen Familie. Hier wird auch der bekannte Kapuzinerbitter, ein Magenbitter nach eigenem Hausrezept hergestellt. Er schmeckt nicht nur köstlich, nein er soll auch noch gesund sein. Da lassen wir uns nicht zweimal bitten. Ja, die Appenzeller wissen wie man’s macht.

Zurück auf der Hauptgasse macht uns Anita auf die vielen, wunderschönen «Tavern» aufmerksam. Ursprünglich waren dies Schilder für die Gasthäuser, die so gekennzeichnet waren. In Appenzell war natürlich nicht jedes Haus eine Schenke. Es gab aber früher doch einige Leute, die nicht lesen konnten. So fand man eine wunderbare Möglichkeit, ein Verkaufs- oder Handwerkergeschäft mit einer, für den Laden typischen und auch schmuckvollen, «Tavern» zu kennzeichnen.

Weiter folgen wir Anita auf den Postplatz. Eine Post ist allerdings hier nicht mehr zu finden. Wir haben aber einen schönen Blick auf das Schloss Appenzell:

  • es ist eines der wenigen Steinhäuser, welches im 16. Jahrhundert gebaut wurde. Da es so gross und mehrstöckig war, wurde es als Schloss bezeichnet.
  • zu dieser Zeit konnten sich nur wohlhabende Leute ein Steinhaus leisten. Die übrigen Appenzeller Häuser wurden damals traditionell aus Holz gebaut
  • der Bauherr Anton Löw war Arzt und grosser Unterstützer der protestantischen Reformation in Appenzell, daher auch nicht sehr beliebt im Dorf. Er beschuldigte einen katholischen Priester des Missbrauchs von Kindern. 1584 wurde er wegen Verleumdung zum Tode verurteilt. Das Schloss wurde dem Franziskaner Orden übergeben und blieb fast ein Jahrhundert in deren Besitz.
  • 1875 kaufte Dr. Anton Sutter das Schloss und richtete seine Praxis im Schloss ein. Es ist heute noch im Eigentum der Familie Sutter

Weiter geht’s zum Kunstgewerbehaus von Roger Dörig. Dort gibt’s zuerst einmal eine Sitzgelegenheit am Schatten und in den Schaufenstern können wir die verschiedenen Kunsthandwerke bestaunen. Die Appenzeller sind ja auch diesbezüglich für ihre verschiedenen Talente bekannt; Holzschnitzereien, Bauernmalerei, Scherenschnitte, Sennensattlerei, Gold- und Silberschmiedkunst, Trachtenschneiderei etc. etc. Da Anita selber eine Tracht besitzt, bringt sie uns auch dieses traditionelle und tiefverwurzelte Brauchtum kurz näher:

  • Die Festtagstracht auch «Schlotte» genannt wird nur 6-mal pro Jahr zu den hohen kirchlichen Festen oder zu einer Heirat getragen, aber nur bei schönem Wetter
  • Kostenpunkt: ca. 20’000 Franken
  • alleine für den handgestickten Kragen benötigt eine versierte Stickerin ca. 500 Stunden
  • die Trachten werden weitervererbt
  • verheiratete Frauen tragen die goldene Haube mit einer roten Schlaufe, bei den ledigen Frauen ist die Schlaufe weiss, was ja früher als Farbe der Reinheit galt
  • Die Werktagstracht ist die meistgetragene Frauentracht. Sie besteht aus einem dreiviertellangen, breitgefältelten Rock und einem weissen, kurzärmligen Hemd. Darüber wird ein goldbesticktes «Brüchli» aus dem gleichen Stoff getragen. Das Trachtenreglement gibt vor, dass die Haare das Brüchli nicht berühren dürfen.

Bevor es zur letzten Station auf unserer Führung durch das wunderschöne Dorf Appenzell geht, erfahren wir noch kurz etwas über den 18. März 1560:

  • an diesem schicksalshaften Tag brannte fast das ganze Dorf Appenzell nieder. Man vermutet, dass eine Magd für einen kurzen Schwatz auf die Strasse ging und das Schmalz auf dem Feuer vergessen hatte. Ganz geklärt wurde die Ursache aber nie.
  • es herrschte starker Wind an diesem Tag und das ausgebrochene Feuer fand schnell gute Nahrung in den nahe zusammengebauten, mit Schindeln gedeckten, Holzhäusern.
  • beim anschliessenden Wiederaufbau wurden keine Schindeldächer mehr erlaubt.
  • neu gab es einen Nachtwächter
  • jedes Haus musste einen Löschkessel für eine allfällige Löschkette bereithalten.
  • das Datum hat sich auch heute noch ins kollektive Gedächtnis eingebrannt; an jedem Jahrestag findet eine Gedenkfeier statt und die Kirchglocken läuten während einer halben Stunde.

An dieser Stelle werden wir von Anita noch auf das kleine Kreuzfenster unter dem Dachgiebel aufmerksam gemacht. Ein sogenanntes Seelenfenster. Was es damit auf sich hat: Früher starb der Grossteil der Leute zu Hause. Der Leichnam wurde anschliessend währen dreier Tage, in der Regel in der Wohnstube, aufgebahrt wo die Totenwache abgehalten wurde. Die abgeschiedene Seele konnte so durch das offene Seelenfenster entschwinden.

Nach diesen eher traurigen Erläuterungen, sind wir nun bereit für ein Thema, das auf unserem Rundgang nicht fehlen darf: Das Dessert. Denn auch in dieser Kategorie sind die Appenzeller stark! Wir begeben uns dafür zur Confiserie Laimbacher. Dort werden wir von Herrn Laimbacher in die Welt der süssen Köstlichkeiten der Appenzeller Spezialitäten eingeführt. Dazu gehören u.a.:

  • Chräpfli (Krapfen)
  • Birewegge
  • Appenzeller Biber (Honigteig mit reiner Mandelfüllung und Marzipanmasse. Sie werden auch heute noch von Hand in die schönen Formen gepresst.)

Ein kurzweiliger, lehrreicher Tag findet so einen wunderbaren Abschluss.

Liebe Anita, herzlichen Dank für die top Organisation von diesem schönen Ausflug!

 

Gabriela Flach