Stadtführung «Mythos Töss» vom 30. September 2022 – Rückblick

Stadtführung «Mythos Töss» vom 30. September 2022

vom Klosterleben über die Industrialisierung bis zum heutigen Multi-Kulti-Quartier

Mit grosser Erwartung fanden sich am Treffpunkt beim Zentrum Töss 31 Frauen ein, um sich gemeinsam von der Leiterin durch die Gassen und Strassen führen zu lassen. Im Vorfeld erfuhr man von Kolleginnen, dass dies eine sehr spannende und auch äusserst humorvolle Führung sei. Wir wurden nicht enttäuscht, boten doch die beiden Darstellerinnen an jeder der sechs Stationen echte Schauspielkunst mit viel Witz!
Wer muss denn da nicht schmunzeln, wenn am Kanal im «Chrugeler» eine Leibeigene des Klosters Töss, mit einem baumelnden Huhn in der Hand auftaucht und in Eile ihren aufklärenden Dialog mit der Partnerin hält. Nach dem Hinweis, sie müsse jetzt aber weiter, faulenzen sei nur was für reiche Leute, stiefelte sie danach schnell von dannen.

Die zweite Station lag beim Haupteingang der Firma Rieter, wo einst das Kloster Töss lag. Es öffnete sich eine «Klappe» in der Tür des Klosters und die Nonne Ita von Wetzikon zeigte sich. Diese wusste äusserst interessante Fakten über die damalige Zeit.

Zu Beginn hausten die Nonnen des Dominikaner-Ordens im 13. Jahrhundert in einem Schwesternhaus mit Kapelle, lebten von einem Bauernhof und einer Mühle. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden dank der guten Vermögensverhältnisse die Klosterkirche und Nebengebäude wie ein Kreuzgang erstellt. In der Blütezeit lebten dort über 100 Nonnen und Aufnahme fand nur, wer ein bestimmtes Vermögen einbrachte, mussten doch zeitweise sogar Eintritte beschränkt werden. Dem Kloster gehörten Ländereien nebst Teilen von Töss das Dorf Dättlikon, die Mühlen entlang der Töss, Grundbesitze in Neunforn, Rorbas, Buch und Berg am Irchel. Zahlreiche Leibeigene unterstanden dem Kloster. Die Bindung an den Adel wurde verstärkt durch die Aufnahme von Elisabeth von Ungarn, die bis zum Tod dort lebte. Diese soll sogar einen Heiratsantrag abgelehnt und sich für das weitere Klosterleben entschieden haben. Das ungarische Kreuz, das selbst im heutigen Wappen von Töss noch vorkommt, zeugt von den damaligen Begebenheiten. Mit dem zunehmenden Reichtum nahm die Frömmigkeit jedoch ab, bis zur Reformation blieb das Kloster aber ein angesehener und wohlhabender Ort. Danach wurde das Kloster, auch um Plünderungen zu verhindern, aufgehoben und die Gebäude als Amtshäuser benutzt. Im 19. Jahrhundert übernahm Heinrich Rieter für Fr. 103’000.- Grund und Boden und erstellte darauf seine Maschinenfabrik. Einzig ein ehemaliges Mühlengebäude blieb erhalten. Eine neue Kirche, Ersatz für die am Ende auch abgebrochene, wurde ein paar hundert Meter entfernt am heutigen Standort von Rieter finanziell unterstützt und gebaut.

Eine nächste Station, am Schulhaus Eichliacker, trafen wir die beiden politisch aktiven Frauen Anna Jud und Marie Huber Blumberg in zeitgemässen Kostümen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Diese debattierten über das Mass einer Mitbestimmung der Frauen in der entstandenen Arbeiterbewegung, führten doch selbst dort Männer die Frauenversammlungen. Die gebürtige Russin Blumberg, die Medizin studiert und 1906 in Zürich doktoriert hatte, bestand auf weitere Mitbestimmung. Dies im Umfeld des damalig grössten Industriestandortes der Schweiz, bestehend aus der SLM, der Giesserei Sulzer und Rieter in Töss. Eine sozialdemokratische Bewegung entstand.

Analog zum Wachstum von Töss werden neue Schulen gebaut, Arbeitersiedlungen entstanden. Im 1922 wurde Töss von Winterthur eingemeindet. Um 1950 liessen sich viele italienische Gastarbeiter im Stadtteil nieder, brauchte doch die Industrie tausende von Arbeitern. Die Pizzeria Cardinal zeugt noch heute von der damaligen Zeit.Im Tössfeld treffen wir sogar auf Oma Schneider, legendäre Rosenburg-Wirtin und den Stammgast Leimbacher Willi aus jener Zeit, welche lustige Beizenanekdoten zu erzählen wussten. Dies wieder köstlich gespielt durch die beiden Darstellerinnen. Die Rosenburg wurde im 1960 geschlossen, da an der Stelle das Zentrum Töss entstehen soll.
Bevor wir dort ankommen, gibt uns eine gespielte Tössemerin aus heutiger Zeit noch Einblicke in das Kapitel der «roten Lichter». Diese erlebten im Stadtviertel einen Aufschwung, nachdem die citynahen Orte aufgewertet wurden und sich das Gewerbe ins günstigere Töss verlagerte.
Das Ende der Tour zeigt uns einen (Park-)platz im OG des Zentrums, welcher ursprünglich als Dorfplatz in einer neuen «Minicity» dienen sollte. Die Einweihung vom Oktober 1970 wurde uns Zuschauerinnen durch eine Choreo der zweiköpfigen «Damenriege» nähergebracht.

Trotz dieses gelungenen Abschlusses waren wir Frauen aus der «Neuzeit» dann aber doch froh, der lärmenden Zürichstrasse den Rücken kehren zu können. Grüppchenweise verliess frau den Platz, um noch da oder dort einzukehren und sich etwas aufzuwärmen.

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